Tick-Tack, die Zeit nimmt ihren Lauf und wir werden geboren – wir sterben; das, so sagt man, ist der natürliche Kreislauf des Lebens. Tick-Tack, jede Sekunde werden weltweit 2,6 Menschen geboren – Tick Tack; 1,7 sterben. Die meisten Menschen scheiden aus dem Leben durch Herz- und Infektionskrankheiten, Krebs, sowie Verkehrsunfälle, aber eine unterschätzte Todesursache steigt stetig an und das weltweit: Tick-Tack, alle 40 Sekunden beendet ein Mensch auf der Welt seinen „natürlichen Kreislauf des Lebens“ – er begeht Suizid, Tick-Tack, alle 40 Sekunden, 1 Million Menschen jährlich.


Einige sehen im Suizid lediglich eine auf einer psychischen Erkrankung begründete Tat und andere eine selbstbestimmte eigenverantwortliche Entscheidung, das Leben aus Freiheit zu beenden. Suizid ist eine gesellschaftliche, rechtliche, religiöse und auch, vor allem, eine ethische Frage, die auch unter Philosophen eine kontroverse und moralische Streitfrage bleibt. In Deutschland wird suizidales Handeln nicht bestraft, es ist also erlaubt. Dennoch wird es in unserer Gesellschaft negativ bewertet. Dies könnte zum einen daran liegen, dass wir Suizid als eine vermeidbare Tat ansehen, welche bei den Hinterbliebenen Schuldgefühle hervorrufen könnte, denn die schmerzliche Frage bleibt: „Hätte ich es verhindern können?“ Ein anderer Grund ist der, dass wir in einer religiös geprägten Gesellschaft leben. Im Christentum ist der Selbstmord als Todsünde zu betrachten. Nach christlichem Glauben kommt man nicht in den Himmel, wenn man sich das Leben genommen hat, die Seele gelangt direkt in die Hölle. Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass in der Bibel nicht geschrieben steht, ob ein Mensch nach dem Suizid in den Himmel gelangt oder nicht. Das Christentum erachtet den Suizid als Mord. Somit verstößt der Suizidant gegen eines der Zehn Gebote „Du sollst nicht morden“. Gott ist allein derjenige, der entscheidet, wann und wie ein Mensch sterben soll.
Der Ausdruck Suizid wird, genauso wie der Begriff Selbsttötung, in der modernen Wissenschaftssprache bevorzugt, da diese als neutral und nicht wertend gelten. Das Wort SelbstMORD hingegen enthält schon ein moralisch wertendes Wort; Mord, und ist demnach ein Verbrechen, der Selbstmord also ein Verbrechen an sich selber. Rechtlich gesehen ist Mord eine vorsätzlich gewaltsame und daher unrechtmäßige Tötung menschlichen Lebens. Der Selbstmörder ist Mörder und Ermordeter zugleich.

Sucht man im StGB nach der Definition von Mörder, findet man unter § 212 folgendes:
„Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.“ Man bemerkt, dass es unmöglich ist, sich selber zur „Befriedigung des Geschlechtstriebes“ oder aus „Habgier“ zu töten, denn wenn man tot ist, existiert man nicht mehr und kann somit auch keinerlei Vorteile erzielen. Demnach ist der Suizid doch kein Mord und demnach auch kein Verbrechen, oder etwa doch? Auch die Philosophen entwickelten schon sehr früh Theorien zum Suizid, die meisten führen zu einem wertenden Urteil. Ich werde auf einige Ansichten kurz eingehen.

In der Antike finden wir um das 3. Jahrhundert v. Chr. den Philosophen Hegesias, der den Spitznamen „Peisithanatos“ („der zum Tode überredet“) trug. Hegesias war Hedonist. Als oberstes Handlungsprinzip nahm er an: Lust ist zu erstreben und Schmerz zu vermeiden. Das Leben aber, so Hegesias, enthalte nun aller Wahrscheinlichkeit nach mehr Schmerz als Lust. Der Tod jedoch enthalte weder Lust noch Schmerz. Daher sei der Tod besser als das Leben. In der Folge müsse der Weise sich selbst töten. Seine Reden fanden großen Anklang und wurden schließlich verboten, da sich viele Ägypter nach seinen Vorträgen das Leben nahmen.

Einer der bekanntesten Selbstmörder in der Geschichte war Sokrates (469–399 v. Chr.). 399 v. Chr. wurden Vorwürfe wegen Gotteslästerung und Verführung der Jugend gegen ihn erhoben. Das Gericht verurteilte Sokrates zum Tode, trotz der Möglichkeit zur Flucht nahm er das Urteil hin. Aber er bevorzugte den von ihn gewählten Freitod und trank den Schierlingsbecher, einen Gifttrunk. Man könnte daraus schließen, Sokrates wäre ein Befürworter des Suizids, aber dies trifft nicht zu. Nachdem Sokrates den Gifttrunk zu sich genommen hatte und auf sein Ende wartete, philosophierten er und seine Schüler, unter diesen auch Platon (428–347 v. Chr.), über den Freitod und über die Unsterblichkeit der Seele. Platon hielt dies in seinem bekannten Werk „Phaidon“ fest. Sokrates sowie Platon sprachen sich sogar für ein Verbot des Freitodes aus, da das Leben in der Macht der Götter steht und es dem Menschen solange nicht erlaubt wäre seines zu nehmen, bis die Götter eine Notwendigkeit dazu verfügt haben. Auf den ersten Blick scheint es im Widerspruch zu Sokrates Handlung zu stehen, doch sah er sein Todesurteil von den Göttern als gesandte Notwendigkeit an und rechtfertigte somit seinen Willen, für seine Ideale im Freitod zu sterben. Vielmehr waren Sokrates und Platon gegen den Suizid, der im Affekt geschieht. Platon willigte nämlich in seinem Werk „Phaidon“ ein, dass „höchst schmerzliches und unentrinnbares Schicksal oder eine unheilbare Schmach, die das Leben unerträglich macht“ einen Selbstmord rechtfertigen.

Auch Aristoteles (384–322 v. Chr.) war kein Fürsprecher des Suizids. Er selber sah Suizid als ein Verbot der Polis (Stadtstaat) an. Zu jener Zeit gab es kein tatsächliches Verbot des Suizids, doch Aristoteles war der Ansicht, was in der Polis nicht genau erlaubt worden ist, wäre demnach grundsätzlich verboten. Im Suizid sieht Aristoteles den Verlust von Ehrbarkeit; der Suizidant gilt als Feigling, der sich den Übeln des Lebens entzieht. Demnach sieht er keinerlei Ausnahmen, die den gewählten Freitod billigen.

Anders wiederum stand der Philosoph Epikur dem gewählten Freitod gegenüber. Er nahm sich mit 72 Jahren das Leben, da Epikur unheilbar an Blasensteinen litt. Wenn übermäßiges Leiden und Schmerz – nicht durch Lust und Freude ausgeglichen – dauerhaft und nicht abzuwenden sind und kein anderer Ausweg bleibt, wird von der epikureischen Lehre nicht untersagt, sein Leben selbst zu beenden. Bevor Epikur mit Hilfe eines Gifttrunkes aus dem Leben schied, soll dieser noch ausgelassen ein Bad genommen haben. Die Epikureer sind der Ansicht, dass man vor dem Tod keine Furcht zu haben brauche, da sich mit dem Tod Körper und Seele in ihre Atome auflösen und andere Verbindungen eingehen.

In der Neuzeit finden wir unter anderem David Hume (1711–1776) und Immanuel Kant (1724–1804), die deutlich Stellung zu diesem Thema genommen haben. Kant als Gegner und Hume als Billiger des Suizids. Kant war der Auffassung, dass Menschen Pflichten gegenüber anderen, aber auch gegenüber sich selbst haben. An erster Stelle steht hier die Selbsterhaltung, ein Selbstmord ist für Kant nicht akzeptabel: „Die Selbstentleibung ist ein Verbrechen (Mord).“ David Hume war ein schottischer Philosoph und wichtigster Vertreter der schottischen Aufklärung. Nach Hume verstößt der Selbstmord nicht gegen die Pflichten seiner selbst. In seinem veröffentlichten Essay „On Suicide“ („Über Selbstmord“) vertritt dieser deutlich den Standpunkt, dass es weder gegen die Gesetze Gottes noch gegen die der Natur verstößt, wenn ein Mensch sein eigenes Leben beendet. Das bedeutet, dass es dem Menschen vollständig freisteht, was dieser mit seinem Körper macht, beziehungsweise seinen Körpern antut.

Der philosophische Pessimist Schopenhauer (1788–1860) hielt den Tod für besser als das Leben. Das Leben bestehe nur aus Schmerz und Langeweile. Schon seiner Anlage nach ist das Leben keiner wahren Glückseligkeit fähig. Dennoch wäre der Suizid für Schopenhauer keine besonders gute Lösung, weil der metaphysische Wille umgehend eine neue Form finden würde. Der Mensch wäre jedoch als höchstes irdisches Wesen in der Lage, den Willen für sich zu negieren. Ein Mensch, der das Leben verneint, verabscheut nicht seine Leiden, sondern seine Genüsse. Demzufolge wäre nur der Freitod durch Askese, genauer gesagt: der freiwillige Hungertod zulässig, da dieser zielführend sei.

Nicht nur als Billiger sondern als starker Verfechter des Rechts auf Suizid galt der Philosoph Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844–1900).

„Der Gedanke an den Selbstmord ist ein starkes Trostmittel: Mit ihm kommt man gut über manche böse Nacht hinweg.“ Zitat Nietzsche.

Nietzsche sah im Suizid den „höchsten Ausdruck menschlichen Lebens“, für ihn galt es, den freiwilligen Tod ehrwürdiger anzusehen als den unfreiwilligen natürlichen Tod. Im Gegensatz zu Aristoteles, der den Suizid als Feiglingstod ansah, empfand Nietzsche den unfreiwilligen natürlichen Tod zur unrechten Zeit als einen nicht ehrwürdigen Tod. Denn er war der Meinung: „Man sollte aus Liebe am Leben den Tod anders wollen, frei, bewusst, ohne Zufall, ohne Überfall.“

Es scheint unmöglich zu sein, eine endgültige Aussage zu geben. Ob Suizid eine Todsünde oder Ausdruck menschlicher Freiheit ist, muss und sollte jeder frei für sich selbst entscheiden. Oft zeigen sich auch Unterschiede in der ethischen Bewertung des Suizids junger und älterer Menschen. Alterssuizid wird anders bewertet als der Suizid von jungen Menschen, hinzu kommt, in welcher Lebenssituation sich die jeweilige Person befand. Religiöse und soziale Aspekte werden mit bewertet.

Für mich kann Suizid keine Todsünde sein, da ich nicht religiös bin. Suizid kann ein Hilfeschrei sein, ein Akt der Verzweiflung, ein Kurzschluss, aus Rache geschehen oder von einem Selbstmordattentäter begangen werden, aber er kann – und ist somit für mich ein Ausdruck menschlicher Freiheit – ein langwieriger Entschluss sein, eine Bilanz am Ende des eigenen Lebens, er kann selbstlos und eine Erlösung von Schmerzen sein. Die Entscheidung zum Suizid sollte man aus der Vernunft heraus fällen und dabei beachten, inwiefern man den Hinterbliebenen damit schadet. Ein einfaches Beispiel dafür wäre eine hochverschuldete Person, die sich, um sich der Verantwortung zu entziehen, umbringt, aber somit ihre Schulden auf ihrer Familie auflastet. Dieses Vorgehen ist nun für mich kein Ausdruck menschlicher Freiheit mehr, sondern einfach nur egoistisch und feige. Ich denke, solange man nur für sich selber Sorge trägt, ist jeder Mensch frei und ohne Einschränkung in dieser Entscheidung.

Keiner hat uns gefragt ob wir geboren werden möchten, wir sind demnach unfreiwillig ins Leben gekommen. Der Wille zur Selbsttötung schließt eine unfreiwillige Entwicklung des eigenen Lebens mit ein, haben wir demnach nicht wenigstens das Recht, entscheiden zu dürfen, wann und wie wir aus dem Leben gehen?