Ja, 2012 ist auch schon mausetot, aber es lohnt sich, nochmal einen Blick zu werfen auf das, was es da letztes Jahr so alles zu hören gab an guter Musik, abseits der großen Mainstream-Bühne. Der kleine alternativ-musikalische Rückblick 2012 bietet euch einen kleinen Überblick über ausgewählte Alben, die 2012 erschienen sind, und wartet sogar mit manchem Stream auf, durch den ihr euch selbst ein Bild von der Musik machen könnt. Los geht’s mit einem kleinen Soundgarden-Special – ja, für alle, die es nicht mitbekommen haben: Die Grunge-Legenden der 90er sind zurück!


Soundgarden – King Animal
Atemberaubende Klangvielfalten, ein Wechselspiel der verschiedensten Tonarten, alles, was man sich vielleicht unter einem Klanggarten (Soundgarden) vorstellen könnte, all das gibt es bei Soundgarden aus Seattle – nicht zu hören.
Die Band, die neben Nirvana, Pearl Jam und Alice In Chains (auch aus Seattle) eine der Grunge-Legenden der 90er darstellt, lebt in ihrer Musik vor allem von der Atmosphäre, die Gitarrist Kim Thayil mit seinen zumeist schweren Gitarrenriffs erzeugt, und natürlich von Sänger Chris Cornells markanter Stimme.
Nachdem man sich 1997 getrennt hatte, folgte 13 Jahre später die Wiedervereinigung, und 2012 gab die Band bekannt, dass man nicht nur auf Tournee gehen würde, sondern auch ein neues Album veröffentlicht werden sollte. Ihre Welttournee führte sie im Mai 2012 nach 15 Jahren auch wieder nach Deutschland – genauer nach Berlin in die Zitadelle Spandau –, dabei waren aber noch keine neuen Songs zu hören, auch wenn die Band schon Anfang des Jahres verlauten ließ, dass ein neues Album mit dem Namen „King Animal“ erscheinen sollte.
Im November 2012 war es dann soweit, und der erste Song des neuen Albums mit dem passenden Titel „Been Away Too Long“ wurde vorab veröffentlicht. Wer „Been Away Too Long“ eher als ernüchterndes Hardrock-Stück abkanzelt, wird sich wohl auch mit dem Rest des Albums bei erstmaligen Hören etwas schwer tun, auch wenn es mehr als nur schlichten Dampfwalzenrock bietet.
Erst nach mehrmaligen Durchhören kristallisieren sich die – zugegebenermaßen – wenigen Songperlen heraus.
Das Album hat sehr gute Momente – die Songs sind sehr vielschichtig und warten nach mehreren Durchgängen mit vielen Details auf, wie etwa einigen einmal mehr beeindruckenden und nachhallenden Gesangslinien Chris Cornells, die da manchmal erst auftauchen, wenn man den Song eigentlich schon abhaken wollte – Beispiel: „A Thousand Days Before“ oder das fulminante instrumentale Ende von „Black Saturday“.
Aber das sind wie gesagt gute Momente – woran das Album etwas krankt, ist, dass es zu wenige gute Songs in Gänze bietet. Nach mehreren Durchläufen kristallisieren sich gerade mal „Blood On The Valley Floor“ als mitreißender Soundgarden-Signature-Song heraus sowie das überragende „Taree“, als auch der sehr atmosphärische letzte Song des Albums: „Rowing“.
Alles in allem wirkt „King Animal“ etwas aus der Zeit gefallen, es ist eigentlich genau das Album, das Soundgarden wohl damals anno 1997 auf ihren letzten Streich „Over the Under“ folgen hätten lassen – wenn sie sich nicht aufgelöst hätten.
Aber Gitarrist Kim Thayil hat ja schon verlauten lassen, dass man schon ein nächstes Album plane – hoffentlich wird das dann der ganz große Wurf, den sich alle erhofft hatten.

Highlights: Blood On The Valley Floor, Taree, Rowing
Song: Taree


Mark Lanegan – Blues Funeral
Mark Lanegan – ehemaliger Sänger der Screaming Trees und seit deren Auflösung vielbeschäftigter Auftragskiller für zahllose Nebenprojekte.
Ob als Teilzeitmitglied bei den Queens of the Stone Age, bei den Soulsavers, UNKLE oder im Duett mit Isobell Campbell – was der Mann mit der manchmal an Tom Waits erinnernden Reibeisenstimme macht ist immer grundsolide und hat einfach den Blues.
Verlassen auf Qualität konnte man sich deshalb auch bei seinem neuesten Album „Blues Funeral“, welches den direkten Nachfolger zu seinem 2004 erschienen Klassiker „Bubblegum“ darstellt.
Und „Blues Funeral“ ist, wie der Titel schon vermuten lässt, keine olle Country-Bluegrass-Veranstaltung, sondern eine Art „Dark-Blues“ – ganz im Stile eines Überlebenskünstlers wie Lanegan, der in der Vergangenheit nicht nur mit Alkohol- und Drogenproblemen zu kämpfen hatte.
Vom bluesig rockenden Opener „The Gravedigger Song“ oder „Riot In My House“ bis hin zu tonnenschwerem Blues wie in „Bleeding Muddy Water“ hat „Blues Funeral“ dabei mit „Ode to Sad Disco“ oder „Tiny Grain of Truth“ auch einige überraschende Ausflüge ins Elektronische zu bieten.
„Blues Funeral“ bietet damit für ein Lanegan-Soloalbum ungewohnt viel Abwechslung, wobei die alles beherrschenden Elemente natürlich Lanegan selbst und seine Stimme bleiben, mit welcher er jedem Song seinen Stempel aufdrückt.

Highlights: The Gravedigger Song, Riot In My House, St. Louis Elegy, Tiny Grain Of Truth
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The Heavy – The Glorious Dead
Ganz im Zeichen unserer aktuellen Ausgabe beschäftigen sich auch die Engländer The Heavy in ihrem neuen Album mit dem Titel „The Glorious Dead“ mit dem Tod. Dabei geht es aber wenig melancholisch zu, sondern bewährt mit einer gehörigen Prise Soul und Funk. „Bewährt“ ist auch das einzige, was man The Heavys neuem Album zum Vorwurf machen kann – mit „The Glorious Dead“ haben sie ihren Stilmix aus Soul, Garagerock und Funk perfektioniert, aber bieten damit auch eher wenig Überraschendes.
The Heavys neuestes Werk fügt sich nahtlos in die Reihe ihrer nunmehr drei Alben ein, und wer Lust auf ein furioses Soul-Feuerwerk hat, der wird mit „The Glorious Dead“ genauso glücklich werden wie mit ihren beiden vorigen Scheiben. Was The Heavy über ihre Alben hinaus unschlagbar macht, sind ohnehin ihre energetischen Liveauftritte.

Highlights: Can’t Play Dead, Big Bad Wolf, Same Ol, What Makes A Good Man
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Murder By Death – Bitter Drink, Bitter Moon
Murder by Death und der Tod sind schon durch den Namen miteinander verbunden – 2001 benannte man sich in Murder By Death um, da man überzeugt war, der Name würde ihrer Musik besser entsprechen – die Band um Adam Turla beschäftigt sich also nicht erst seit ihrem 2004 erschienenen zweiten Album, „Who Will Survive And What Will Be Left Of Them?“, mit der Thematik Tod.
„Bitter Drink Bitter Moon“ glänzt mit der gewohnten songwriterischen Brillianz Adam Turlas in Kombination mit Sarah Baillets Cello, was den Murder by Death-Sound so einzigartig unter den Folkrock-Kapellen macht.
Neben dem sehr atmosphärischen Albumseinstieg „My Hill“ sind auch wieder scheppernde E-Gitarren und großartige Refrains wie in „Hard World“ zu hören, was an überragende frühere Alben wie „In Bocca Al Lupo“ oder „Red Of Tooth And Claw“ erinnert.
Die Songs erzählen nach wie vor mitreißende Geschichten, die wohl nur Sänger und Gitarrist Adam Turla auf seine einmalige Art und Weise so authentisch rüberbringen kann.
Wenn der kleine Mann mit der Johnny Cash/Nick Cave-Gedächtnisstimme da in „Ditch Lilly“ singt: „You Were Made Incomplete, You Were Made For Me“, dann kauft man ihm das sofort ab und glaubt einen Moment wieder an die ganz echte Liebe.

Highlights: My Hill, No Oath, No Spell, Hard World, Ditch Lilly, Go To The Light
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Hot Chip – In Our Heads
Wenig schwermütig kommen die Londoner Hot Chip mit ihrem neuen Album „In Our Heads“ daher. Ihr Mix aus Einflüssen wie Kraftwerk, Joy Division oder Devo gesellt sich zusammen mit Soul, Funk und Hip Hop zu einem ganz formidablen Electropop-Cocktail.
Der Cocktail wird dabei nie fad oder abgestanden, sondern sprüht vor Ideenreichtum.
Wenn beispielsweise bei „Don’t Deny Your Heart“ im Ausklang auf 80er-Synthies Jungledrums und funkige Gitarrensoli erklingen, dann weiß man, das ist nicht irgendwer, das ist Hot Chip. Ob das nun Gute-Laune-Musik oder einfach nur gute Musik ist, das darf jeder für sich selbst entscheiden.

Highlights: How Do You Do, Don’t Deny Your Heart, In Our Heads
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Dr. John – Locked Down
Der Altmeister aus New Orleans, Louisiana meldet sich zurück mit „Locked Down“. Wie man mit mittlerweile 72 Jahren noch so cool wie auf dem Albumcover aussehen und voll im Saft stehen kann, das weiß wohl nur er – und vielleicht Udo Jürgens.
Schon der Opener „Locked Down“ des gleich benannten, von Black Keys-Boss Dan Auerbach produzierten und mit Gitarre und Hintergrundgesang unterstützten Albums beweist, dass echter Soul nicht tot zu kriegen ist.
Dr. John, der für den großen Mainstream-Erfolg wohl immer etwas zu eigen war, jedoch im Laufe seiner Karriere auf die Zusammenarbeit mit Größen wie Frank Zappa, Aretha Franklin oder den Rolling Stones zurückblicken kann, schafft es mit Hilfe von Dan Auerbach, seinen kuriosen Mix aus Blues, Jazz, Zydeco, Boogie Woogie und was-auch-immer erfolgreich und gar nicht angestaubt ins Jahr 2012 zu manövrieren.

Highlights: Locked Down, Revolution
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The UFO Club – The UFO Club
Die 60er – das muss schon eine schöne Zeit gewesen sein. Wer sich mal wieder ein bisschen in der Zeit zurück versetzt fühlen will und mal nicht auf die Originale wie The Sonics oder 13th Floor Elevators zurückgreifen mag, der findet auch oder gerade heutzutage noch genug guten Stoff.
Da wären z.B. The UFO Club, ein Nebenprojekt des Gitarristen Christian Bland von den Psychedelic-Rockern The Black Angels, der zusammen mit Sänger Lee Blackwell von den Night Beats gemeinsame Sache macht.
Von „Be My Baby“, einem sehr stimmigen Ronettes Cover, bis hin zu dem an genannte 13th Floor Elevators oder The Stooges erinnernde „Wolfman“ ist alles dabei, was das 60er-affine Herz höher schlagen lässt.

Highlights: Be My Baby, Bo Diddley Was The Seventh Son, Wolfman, Surf Shitty
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Tame Impala – Lonerism
Nicht minder retro geht es bei den immer noch blutjungen Australiern Tame Impala und ihrem Zweitwerk „Lonerism“ zu.
Wo man auf dem Erstling „Innerspeaker“ noch Herzschmerz („It Is Not Meant To Be“) beklagt, und Einsamkeit als Segen beschworen hat („Solitude Is Bliss“), lässt auch der Albumtitel ihres neuesten Silberlings und der mantraartige Einstieg mit „Be Above It“ auf ähnliche Thematiken und deren Bewältigung schließen.
Musikalisch bleiben Tame Impala ihrem wilden Stilmix aus späten Beatles und allerhand Psychedelic-Rock der 60er und 70er treu.
Ja, die Retro-Welle war auch 2012 so ganz und gar nicht am abschwappen, und wer sich fragt, was Tame Impala jetzt so besonders machen, und von all den anderen Neo-Psychedelic-Bands so abheben soll, dem sei zumindest gesagt, dass Tame Impala neben aller Effektfrickelei sogar auch noch ganz gute Texte zu bieten haben – wie da etwa in „Nothing That Has Happened So Far Has Been Anything We Could Control“ gesungen wird: „Every man is happy until Happiness is suddenly a goal“, das klingt schon fast altersweise.
Ganz nebenbei werden Tame Impala ja auch von den Printmedien zu dermaßener Überlebensgröße aufgepumpt, da können die gar nichts für.
Wer also Tame Impala hört, der kann sich zumindest sicher sein, trotz oder gerade wegen ihrer Rückwärtsgewandtheit immer noch total up to date zu sein – ganz nach dem Motto: „Feels Like We Are Only Going Backwards“. Voll 2012-retro. Yeah.

Highlights: Apocalypse Dreams, Feels Like We Are Only Going Backwards, Elephant
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Außerdem hörenswert 2012:
Jack White – Thunderbuss
Grizzly Bear – Shields
Ty Segall – Hair / Slaughterhouse / Twins
und vieles mehr

Worauf man sich 2013 freuen darf:
Mark Lanegan & Duke Garwood – Black Pudding
Queens of the Stone Age – tba
Black Sabbath – 13
Phil Anselmo – Walk Through Exits Only
und vieles mehr