Hurtig hinterlassene Habseligkeiten


„…al überhastet abgereist. Vor ein paar Stunden schon, mitten des Nächtens!“
Na prima! Das hatte gerade noch gefehlt! Nach Wochen endlich eine heiße Spur, und dann verpasste er Schmydzler, nur weil Kutte nicht rechtzeitig aufgetaucht war, um ihm den Hinweis zu geben. Dabei war Kutte doch sonst immer so verlässlich … irgend etwas kam Meyer bei der ganzen Sache spanisch vor. Aber alles zu seiner Zeit.
„Überhastet abgereist, sagen Sie. Hat er Ihnen denn den Grund für seine plötzliche Wanderlust genannt?“, fragte Meyer den Concierge.
„Nein, hat er nicht. Ich hatte auch gar keinen Dienst zu der Zeit, sondern Herr Balthasar, unser Nachtportier.“
„Den würde ich gerne mal sprechen, wenns keine Mühe macht.“
„Da müssen Sie leider bis heute Abend um 10 warten, dann beginnt seine Schicht. Wo er sich am Tage verlustiert, vermag ich leider nicht zu sagen.“
Das wurde ja immer besser, dachte Meyer in sich hinein.
„Na gut. Können Sie mir denn noch irgendwas weiterhelfendes sagen?“
„Nicht viel. Herr Balthasar erzählte mir beim Schichtwechsel lediglich, was ich Ihnen schon gesagt habe. Ach ja, und dass Herr Schmydzler nicht mal mehr auf das Wechselgeld warten wollte, nachdem er eilig seine Rechnung bezahlt hatte. War wohl eine ganz schöne Summe, die er damit unserer Herberge vermacht hat. Naja, aber wie ich vom Zimmermädchen gehört habe, wird das wohl gerade mal reichen, sein Zimmer wieder auf Vordermann zu bringen. Soll wohl einen ziemlichen Kuhstall hinterlassen haben.“
Na bestens! Meyer durfte sich also wieder einmal durch einen bis mehrere Berge versiffter Hinterlassenschaften wühlen, in der Hoffnung, auch nur einen klitzigkleinen Hinweis zu finden, der sich dann vermutlich abermals als letztendlich doch nicht hinweisgebend erwies. Nicht zum letzten mal dachte er bei sich, dass er wahrlich hätte Einzelhandelskaufmann werden sollen, wie sein Vater. Oder Löwendompteur, wie seine Mutter. Aber es half alles nichts:
„Das Zimmer würde ich mir gern mal ansehen, sofern es noch im Originalzustand belassen wurde.“
„Nur zu. Fünfter Stock, linker Gang, Zimmer 505. Ans Saubermachen hat sich da noch niemand rangewagt. Der Fahrstuhl befindet sich hier links um die Ecke, Herr Wachtmeister.“

Der Türhüter hatte nicht zuviel versprochen. Schmydzlers ehemaliges Zimmer sah aus, als hätte sich die städtische Müllhalde hierher zum Sterben zurückgezogen. Über den ganzen Raum verteilt lagen diverse Müllhaufen, in jeweils unterschiedlicher Zusammensetzung bestehend aus schmutzigem, halbleergegessenen Geschirr, den dazugehörigen, unidentifizierbaren Essensresten, alten Schnapsflaschen, Schokoriegelverpackungen, diversen Schnellessensbehältnissen, Pizzakartons, aberdutzenden von benutzten Zellstoffprodukten, Zigarettenschachteln, vollgeaschten Aschern, sowie jede Menge weiterem unappetitlichen Zeugs, dessen Natur sich Meyer nicht auf den ersten Blick erschloss, ihn jedoch auch nicht dazu verlockte, weitere kognitive Anstrengungen zwecks Entschlüsselung seiner Art und Gattung anzustellen. Schmydzler schien es während seines gesamten Aufenthalts nicht gewagt zu haben, das Zimmer zu verlassen oder einem Mitglied des Hotelpersonals den Zutritt zu gestatten, hatte es dann aber anscheinend doch recht eilig gehabt, seine Unterkunft endgültig zu desertieren. Von letzterem zeugte die Tatsache, dass sämtliche zur Kleidungsbeherbergung gedachten Möbelstücke entweder aufgerissen waren oder ihnen ihre Schubladen herausgerissen worden waren, sich jedoch in den meisten dieser Einrichtungsgegenstände noch zerknitterte, offenbar hastig herausgezerrte und durchwühlte Kleidungsstücke befanden. Schmydzler schien hastig nach einem ganz bestimmten Outfit für seine Abreise gesucht zu haben, und noch dazu sich nicht daran erinnert zu haben, wo er es abgelegt hatte. Der Nachtportier hatte sich hoffentlich merken können, wie ihm Schmydzler entgegengetreten war.
Sich bewusst werdend, dass er sich mit diesen Spekulationen und Hoffnungen nur vom Durchwühlen des Zimmers abzuhalten versuchte, begann Meyer, eben jene Aufgabe in Angriff zu nehmen, als er aus Richtung des Klosetts ein schmatzendes Röcheln vernahm!

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