Schule, das war für mich immer Klausuren, Hausaufgaben und viel zu frühes Aufstehen, aber auch Zettelchen mit Freunden tauschen, in den Pausen den neusten Klatsch besprechen und sich immer mal wieder streiten und versöhnen. Meine Lehrer waren dabei für mich immer Lehrbeauftragte, die sich im Ernstfall auch mal mit einem zusammengesetzt haben und dann wieder an der Tafel standen. Manchen von ihnen hat man vertraut, andere respektiert, und bei einigen probiert, Grenzen zu überschreiten, doch am Ende des Tages waren sie es, die Noten vergaben, und damit für mich Respektspersonen.


Kampf um jeden einzelnen

Heute bin ich wieder in der Schule, dieses Mal stehe ich auf der anderen Seite. Ich halte Vorträge zum Thema Essstörungen und Selbstwertgefühl. Wenn ich in den Schulen ankomme, gehe ich ins Lehrerzimmer, trinke ein Glas Wasser und bekomme die Gespräche der Lehrer mit. Was mir dabei auffällt, ist, dass sie für ihre Schüler kämpfen wie Löwenmütter. Da wird probiert, an verschlossene Mädchen heranzukommen und an aggressive Jugendliche, es werden Kurse angeboten, die lernschwächeren Schülern eine Möglichkeit bieten, Anschluss zu finden, und auch bei der Stellensuche wird fleißig unterstützt. Doch damit noch lange nicht genug, auch im Unterricht wird der Lehrplan wenn nötig beiseitegeschoben, um über das Leben und die aktuellen Situationen zu sprechen, Streitigkeiten werden im Kern aufgegriffen, so dass eine Lösung gefunden werden kann. Bei Schülern mit schwierigen Familienverhältnissen wird versucht ein Vertrauensverhältnis zu schaffen, um auch diesen Kindern ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Ich war an Schulen, in denen es regelmäßig Präventionen zu allem gibt, was die Schüler gefährden könnte, von Handynutzung bis Drogenkonsum wurde alles aufgegriffen.

Präventionen

Was mir dabei auffällt, ist der Unterschied zu meiner eigenen Schulzeit, die gerade mal sechs Jahre zurück liegt. Ich erinnere mich an genau zwei Präventionsveranstaltungen, die erste ging um das Thema HIV und die zweite um Alkohol. Dass dies heute, und ich bin mir sicher auch damals, nicht ausreicht, wurde mittlerweile erkannt. Doch warum tun sich Jugendliche heute so schwer damit, gesund erwachsen zu werden? Vielleicht liegt es daran, dass die Ansprüche heute so hoch sind. Angeblich gibt es wieder genügend Stellen, und doch hängt über den Schülern das Damoklesschwert der drohenden Arbeitslosigkeit. Die Konkurrenz für beliebte Jobs ist groß und die Welt wirkt unbeständig. Schon die Kleinsten unter den Schülern können mit dem Begriff „Wirtschaftskrise“ etwas anfangen, sie kennen wahrscheinlich nicht die Definition, aber sie kennen das Gefühl, das er in ihnen auslöst, diesen kleinen Knoten im Hals und im Bauch. Studenten stellen sich den neuen Herausforderungen durch ein Master- und Bachelorstudium und setzen sich in die teilweise vollkommen überfüllten Hörsäle. Sie wissen, dass sie möglichst jung sein müssen, aber mit einer Menge Erfahrung sowohl theoretisch als auch praktisch, um dann trotzdem erst einmal von Praktikum zu Praktikum zu tingeln. Die Welt, in der wir leben, ist so schnell im Wandel, dass man kaum zu blinzeln wagt, um auch nichts zu verpassen. Die Technik, die Wirtschaft, die Entwicklung, alles ist in ständiger Bewegung. Es fehlt an Stabilität und Sicherheit. Zwei wichtige Faktoren, um sich gesund entwickeln zu können, und wenn diese fehlen und von außen nicht geleistet werden können, ist der Weg in ein Suchtverhalten leicht. Die einen fliehen aus der Realität mit Drogen und Alkohol, die anderen suchen sich ihre Sicherheit beziehungsweise das Gefühl, etwas kontrollieren zu können, in Essstörungen, und wieder andere verschwinden in eine digitale Welt, in der sie sich verstanden fühlen.

Eine Gratwanderung

Lehrer nehmen dabei heute eine ganz neue Rolle ein. Sie müssen die Gratwanderung bewältigen, ihre Schüler nicht nur im Unterricht, sondern auch in ihrem Alltag zu unterstützen. Der Lehrplan muss eingehalten werden, die Klassen sind voll und die Gesellschaft drückt von außen mit ihren Anforderung an die zukünftigen Arbeitnehmer dagegen. In vielen Familien reicht ein Einkommen nicht mehr aus, so dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten müssen, die Forderung nach mehr Ganztagsschulen ist laut. Doch wo eigentlich immer die Familie den Halt und die Unterstützung geboten hat, rückt sie so immer weiter in den Hintergrund. Das liegt oft nicht an dem Willen der Eltern, sondern an der Situation. Es fehlt die Zeit, um jederzeit für die Kinder da zu sein. Das fängt bereits bei den gemeinsamen Mahlzeiten an, die in vielen Familien nur abends stattfinden können, und auch dabei reagieren die Schulen. Lehrer achten darauf, dass die Kinder anständig frühstücken und zu Mittag essen.

Lehrplan oder Hilfestellung

Bei all der Fürsorge frage ich mich jedoch, wo am Ende der Hauptfokus liegt, was ist wichtiger, die Bildung oder die mentale Unterstützung? Ein Kind, das sich psychisch instabil fühlt, kann nicht richtig lernen, aber wenn der Lehrplan hinten ansteht, wird es schwierig, nachdem sie die allgemeinbildenden Schulen verlassen haben. Fakt ist wohl, dass nicht in beiden Bereichen eine 100-prozentige Abdeckung stattfinden kann, und dass eines immer zulasten des anderen geht. Es ist definitiv gut, dass Schulen reagieren und für ihre Schüler da sind, Hilfestellung leisten und aufklären, doch es ist ein großes Problem unserer Zeit, dass dies überhaupt in einem solchen Ausmaß dort stattfinden muss, wo Schüler auf ihre berufliche Zukunft vorbereitetet werden sollen.

Artikelbild: "Max und Moritz (Busch) 040" von Wilhelm Busch - Auszug aus einem Original-Buch. Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons. Ausschnitt aus dem Original.