Wenn Amazon vor der neuen Folge von Star Trek: Picard zur Eingabe der Jugendschutz-PIN auffordert, deutet sich an, dass es den Produzenten mal so richtig auf Schockwirkung ankommt.

Als zehnstündigen Film hat Patrick Stewart Star Trek: Picard vor dem Start beschrieben. Angesichts dessen ist es schon sehr verwunderlich, wie sehr sich der Ton der Serie von Folge zu Folge ändert. Nach der Melancholie des Auftakts schwenkte Episode 2 auf Mystery, in Folge 3 kam die große Aufbruchsstimmung, danach wieder Kontemplation, und Folge 5 bietet nun den größten Kontrast, sowohl innerhalb der Episode als auch zum bisherigen Geschehen.

Die Rache der Seven of Nine

Im Mittelpunkt der Anfangs-Rückblende von Stardust City Rag bzw. Keine Gnade steht Seven of Nine (Jeri Ryan), die ihren Voyager-Ziehsohn Icheb (Casey King statt wie früher Manu Intiraymi) auf dessen Wunsch von seinen Qualen erlöst. Er wurde nämlich von Schurken gefangengenommen, um ihm seine Borg-Implantate bei vollem Bewusstsein zu entfernen. Dies wird mit aller splatterigen Deutlichkeit visualisiert, die an die Next Generation-Folge Conspiracy erinnert.

Seven of Nine (© CBS/Amazon)

Diese war die vorletzte Episode der 1. Staffel, und zu dieser Zeit wusste noch niemand der Verantwortlichen, in welche Richtung die Serie fliegen sollte. Parallelen zu Star Trek: Picard drängen sich auf. Hier hat die Gewaltdarstellung hauptsächlich den Sinn, Seven am Ende der Folge ein Motiv zu geben, die Verantwortliche Bjayzl (Necar Zadegan) per Selbstjustiz hinzurichten.

In Star Trek: Picard ist keiner, wer er war

Einerseits könnte man natürlich darüber lamentieren, dass die meisten Rückkehrer aus früheren Star Trek-Zeiten in Picard wenig mit ihrem alten Selbst zu tun haben bzw. für plötzliche Tode gebraucht werden. Andererseits könnte man das auch einfach akzeptieren, wie man bei Discovery die Tatsache akzeptieren kann, dass es trotz Prequel-Ausrichtung wenig Prequel-Haftes hat. Wenn, ja wenn die neuen alten Charaktere denn sinnvoll eingesetzt würden.

Dies ist allerdings in der ersten Hälfte der Staffel sehr selten der Fall. Seven of Nine verkommt zur rächenden Rangerin, deren Ermordung von Bjayzl mit anschließendem B-Film-Shootout als schon irgendwie verständlich dargestellt wird. Hugh taucht kurz auf, es könnte aber genauso gut eine x-beliebige neue Figur sein. Icheb stirbt so schnell, wie er erschienen ist, Bruce Maddox hält nur wenig länger durch.

Picard und Co. (© CBS/Amazon)

Dass es Dr. Jurati (Alison Pill) ist, die sein Ableben verantwortet, überrascht wenig. Zu auffällig-unauffällig war ihre Begegnung mit Commodore Oh und ihr anschließendes rettendes Auftauchen bei Picard, als dass da nichts hintersteckte. Zu allem Überfluss waren Maddox und sie nicht nur beruflich, sondern auch romantisch verbandelt. Wie tragisch.

Zu lang und doch zu kurz

Auch vom Plot her macht Star Trek: Picard zur Halbzeit nicht den Eindruck, zwingend zehn Folgen haben zu müssen, sondern entweder mehr oder weniger. Einerseits gibt es zahlreiche Abstecher, Nebenhandlungen und Verschnaufpausen, die aufgrund ihrer Kürze aber eher ablenkend wirken. In Folge 5 ist dies Raffis (Michelle Hurd) misslingende Wiedervereinigung mit ihrem Sohn (Mason Gooding), die nicht über 08/15-Niveau hinausreicht.

Raffi Musiker kontempliert (© CBS/Amazon)

Andererseits kommt die Haupthandlung doch recht ausgewalzt daher und hat viele Redundanzen. Alles wird mindestens zwei mal angesprochen, vieles auch noch häufiger: Der Verlust von Data, der Angriff auf den Mars, der Verlust von Dahj, der Starrsinn der Sternenflotte, die Folgen von Picards Einigeln nach seinem Rücktritt, die Romanze von Soji und Narek, dessen Drangsalierung durch seine Schwester.

Und jetzt haben wir mal Spaß

In ebenso scharfem wie fragwürdigem Kontrast zur Gewalt am Anfang und Ende der Folge steht die Befreiungsaktion von Bruce Maddox (John Ales statt wie früher Brian Brophy) durch Picard und Co. Hier wird Holzhammer-Comedy großgeschrieben, denn es ist Karneval angesagt: Rios (Santiago Cabrera) trägt einen ausladenden Hut mit Feder und einen ebensolchen Anzug und Charakter, Picard verkleidet sich als zwielichtiger Geselle mit Augenklappe und französischem Akzent.

Rios in Verkleidung (© CBS/Amazon)

Im Vorfeld hieß es ja, Patrick Stewart wurde nur dadurch zur Rückkehr bewegt, dass er viel Neues mit Picard anstellen durfte. Nun ist er privat ja kaum einem Scherz abgeneigt, aber ob es tatsächlich solche aufgesetzten Rollenspiele waren, die das Feuer in ihm wieder entfacht haben? Zumindest verrät Maddox, dass Soji auf dem Borgwürfel-Artefakt weilt.

Einmal Star Trek ohne alles bitte

Nun mag es ja wie das Lamento eines Ewiggestrigen klingen, aber von Folge zu Folge macht Picard immer weniger den Eindruck, eine Star Trek-Serie zu sein. Weder das Universum, noch die Figuren, noch der Look der Kulissen und Kostüme erinnert an die bekannte Zukunft.

Der Rausschmeißer (© CBS/Amazon)

Alles kein Verbrechen, aber bisher eben auch keine runde Sache, ob nun als Star Trek-Serie oder eigenständiges Werk gesehen. Die von Kurzman versprochen „psychologische Serie, die Charakterstudie dieses Mannes in seinen Emeritus-Jahren“ zeigt sich bisher nur sehr selten, und wenn, dann ohne große Subtilität.

Doch wenn der bisherige Verlauf der 1. Staffel von Picard uns eines gelehrt hat, dann, dass sich alles in Windeseile ändern kann. Eine grandiose zweite Hälfte ist also durchaus im Bereich des Möglichen.

Picard-Fragen:

  • Was hat Jurati (von Oh?) nur erfahren, das sie zur Mörderin von Maddox macht?
  • Was hätte er Picard noch verraten können?
  • Wozu war Elnor in dieser Folge gut?
  • Warum hört nur keiner auf Picard? Diesmal lässt sich Seven nicht von seinen weisen Worten lenken.
  • Wieso sieht Rios’ Schiff im Innern so unglaublich uninteressant aus?

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